Interview mit Prof. Ulrich Döring

Der „Wöhe/Döring“ ist das erfolgreichsten BWL-Lehrbuch in deutscher Sprache. Ende 2013 erschien die 25. Auflage. Prof. Ulrich Döring unterrichtete bis 2010 an der Universität Lüneburg.

Wenn Sie die heutige BWL mit der vor 40, 50 Jahren vergleichen: Was hat sich seit damals geändert?
Vor 40, 50 Jahren war die BWL ein festgefügtes Lehrgebäude. Jedes Mitglied des Lehrkörpers konnte eine einführende Vorlesung zur Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre halten. Heute werden kaum noch Lehrveranstaltungen zur Allgemeinen BWL angeboten, denn die Berufungspolitik fördert vor allem das Spezialistentum.

Ulrich Döring

Ihr Buch zeichnet sich auch dadurch aus, dass es ohne viel Mathematik auskommt. Lenkt die starke Mathematisierung in vielen Bereichen der BWL oft vom Wesentlichen ab?
Ich sehe das so: Komplexe Strukturen lassen sich in mathematischen Formeln verkürzt abbilden. Das ist sehr hilfreich, überfordert aber das Abstraktionsvermögen vieler Leser. Ich selbst bemühe mich um einen Mittelweg: Ich erläutere verbal den Sachverhalt und erkläre dabei das Zustandekommen der Formel.

Sie verfassen den „Wöhe/Döring“ seit 20 Jahren allein. Ist es nicht eine enorme Kraftanstrengung, sich in allen BWL-Kernfächern ständig auf dem Laufenden zu halten?
Ich verstehe mich als Generalist, der seine Aufgabe darin sieht, die Studienanfänger anhand eines roten Fadens durch das weitverzweigte BWL-Labyrinth zu leiten. Meine spezialisierten Kollegen sind die Vordenker, die die wissenschaftliche Forschung an den verschiedensten Fronten vorantreiben. Ich sehe meine Rolle als „Nachdenker“, der hinter den Frontlinien bemüht ist, die Aktivitäten der wissenschaftlichen Vorreiter als Bestandteile eines größeren Schlachtplans, das heißt der Allgemeinen BWL, zu erklären.

Für viele Lehrbücher gilt der übliche Lebenszyklus: Sie werden von Auflage zu Auflage dicker, veralten irgendwann, um schließlich vom Markt zu verschwinden. Gibt es dagegen ein Rezept?
Ich denke ja. Kürzlich schrieb ein Leser bei Amazon eine Beurteilung zur 25. Auflage: „Ich habe jetzt den dritten ,Wöhe‘ im Bücherregal.“ Der Grund: Von Auflage zu Auflage wird ein Abschnitt, also etwa 100 bis 200 Seiten, neu geschrieben. Und seit der 18. Auflage habe ich das Buch um über 400 Seiten gekürzt.

Wenn man sich die Anforderungen an heutige Top-Manager ansieht, gehören umfangreiches, ja ganzheitliches Wissen zu den Grundvoraussetzungen. Läuft dem nicht die Spezialisierung bei der BWL-Ausbildung zuwider? So gibt es Bachelor-Studiengänge, bei denen man sich bereits als 18-Jähriger für bestimmte Schwerpunkte entscheiden muss.
Sie haben Recht. Top-Manager sind Meister ihres Fachs. Und als Meister muss man das ganze Fach beherrschen. Ein Bäcker, der nur Kümmelbrötchen backen kann, ist kein Meister, und ein Betriebswirt, der nur eine ganz spezielle Teildisziplin beherrscht, wird kein Top-Manager.

Überhaupt die Bachelor- und Master-Studiengänge: Was halten Sie von der Bologna-Reform?
Die Bologna-Reform ist der Sargnagel eines wissenschaftlich fundierten Studiums. Früher sollten die Studierenden zum eigenständigen, kritischen Nachdenken angeregt werden. Heute werden sie durch ein Credit-Point-System gejagt. Die häufig verwandten Multiple-Choice-Klausuren erziehen zudem zu oberflächlichem Auswendiglernen. Damit erwirbt man keine Problemlösungskompetenz für spätere Führungsaufgaben.

Viele Ihrer Kollegen raten ihren Studenten, unbedingt noch einen Master zu machen, da es sonst nur zum Middle Management reiche. Wie sehen Sie das?
Das sehe ich auch so.

Zu allen BWL-Ausbildungen gehören auch Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. Wie viel sollte man als Betriebswirt von Nachbardisziplinen wie VWL, Jura, Wirtschaftsinformatik und auch von Gesellschaftswissenschaften wie Soziologie und Politikwissenschaft wissen?
Die BWL ist eine Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaft. Wer über den Tellerrand dieser Teildisziplin schauen möchte, ist gut beraten, sich mit den Grundlagen anderer Disziplinen, seien es VWL, Jura, aber auch Psychologie und andere, auseinanderzusetzen. Sonst besteht die Gefahr, dass man nur einseitiges Wissen ansammelt und so schnell zum Fachidioten wird.

Wirtschaftsethik und Corporate Social Responsibility sind nach den ständigen Wirtschaftsskandalen und Krisen zu wichtigen Stichwörtern geworden. Welchen Stellenwert haben sie in der BWL?
Als ökonomische Teildisziplin beschränkt sich die BWL auf Vorteilhaftigkeitsvergleiche. Die Suche nach Antworten zum moralisch „richtigen“ Handeln überlässt sie nach meiner Ansicht besser den Moralphilosophen und Theologen. Der Versuch mancher Kollegen, die BWL zur ganzheitlichen Weltverbesserungslehre auszubauen, sprengt in meinen Augen die Grenzen unserer Disziplin.

An der Harvard University wurde vor einiger Zeit der „MBA Oath“ eingeführt. MBA-Absolventen, die ihn ablegen, verpflichten sich, sich in ihrem Berufsleben ethisch einwandfrei zu verhalten. Dann wäre das wohl auch kein Vorbild für deutsche BWL-Studenten?
Die Wöhe-BWL beruht auf der Grundannahme langfristiger Gewinnmaximierung. Das Ziel langfristiger Gewinnmaximierung erreichen aber nur ehrbare Kaufleute, nicht Spitzbuben, denn nicht umsonst heißt es „Ehrlich währt am längsten.“ Damit sorgt die Langfristigkeit des Gewinnstrebens von ganz allein für moralisch vertretbares Handeln. Den Rest besorgt die Rechtsordnung mit strafrechtlichen Sanktionen.

Auch Nachhaltigkeit ist heute ein wichtiges Stichwort. Inzwischen spricht man von Green Marketing, Green Logistics, Green IT und so weiter. Sollte „green“ heute nicht vor jeder Art wirtschaftlichen Handelns stehen?
Das Verlangen nach ökologisch und sozial vertretbarem Unternehmenshandeln erfasst verständlicherweise immer weitere Kreise unserer Gesellschaft. Damit haben Unternehmen, die die Grundsätze der Corporate Social Responsibility missachten, auf Dauer keine Chance am Markt. Adam Smiths unsichtbare Hand des Marktes sorgt also auch hier für moralisch vertretbares Handeln.

Der deutschen BWL-Ausbildung an den Unis wird oft vorgeworfen, sie befasse sich in erster Linie mit der Großindustrie und nicht mit den spezifischen Fragen mittelständischer Unternehmen. Obwohl sie nach wie vor die eheren Stütze der deutschen Wirtschaft sind. Ein berechtigter Vorwurf? Ich glaube, dieser Vorwurf ist heute nicht mehr berechtigt. Inzwischen gibt es an vielen Hochschulen Vorlesungen und sogar Studienschwerpunkte zum Gründungsmanagement und zur BWL für kleine und mittelständische Unternehmen.

So mancher Student überlegt, ob er im Ausland, etwa an einer Business School, studieren soll. Welchen Ratschlag würden Sie ihm geben?
Da die Internationalisierung immer mehr voranschreitet, ist Deutschland als eine der führenden Exportnationen besonders stark auf Manager mit internationaler Erfahrung und Ausrichtung angewiesen. Auslandspraktika und vor allem auch Auslandssemester sind eine sehr gute Möglichkeit, solche Erfahrungen zu erwerben. Wer sein Bachelor-Studium in Deutschland absolviert hat, sollte also überlegen, ob er den Master im Ausland macht.

Man sagt, Vertrauen und Rechtssicherheit seien eine wichtige Grundlage der Wirtschaft. Wie der NSA-Skandal, aber auch die Spionagetätigkeiten anderer Nationen, deutlich machen, leben wir in einer Zeit hemmungsloser Wirtschaftsspionage. Werden dadurch nicht die Grundfesten des Wirtschaftens erschüttert?
Diese Gefahr besteht durchaus. Deshalb müssen die Unternehmen alles tun, um ihre Betriebsgeheimnisse vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Und es wird ein neuer, möglicherweise sehr lukrativer Markt entstehen, auf dem Produkte zum Schutz geistigen Eigentums angeboten werden.

Man kann heute vor fast jeden Bereich der BWL nicht nur ein „Green“, sondern auch ein „E“ setzen - von E-Marketing über E-HR bis zu E-Logistics. Doch wie ethisch ist ein E-Marketing, das den Konsumenten bis in die letzten Winkel seiner Wünsche ausschnüffelt, ein entsprechendes Profil von ihm anlegt und ihn anschließend mit „personalisierter“ Werbung bombardiert?
Als Betriebswirt beteilige ich mich nicht gern an ethischen Debatten, denn über Moral kann man - wie man in vielen Talkshows sieht - ebenso lang wie ergebnislos diskutieren. Zur unlauteren Werbung aus ökonomischer Sicht nur so viel: Kunden können auf unlautere Werbung mit einem Käuferstreik reagieren. Das ist dann die unsichtbare Hand des Marktes. Den Rest sollte der Gesetzgeber im Rahmen des Verbraucherschutzes regeln.

Die IT verändert auch zunehmend das Lernen. Das Neueste sind MOOCs: Unis stellen ihre Vorlesungen kostenlos ins Internet. Wird man als Student eines Tages nur noch zu Hause auf der Couch sitzen und werden Unis zu IT-Firmen?
Ravioli aus der Dose schmecken sicherlich besser als der lieblos angerichtete „Fraß“ eines schlechten Kochs. Genauso verhält es sich mit Lehrveranstaltungen: Wenn die IT-Konserve die Vorlesung eines unfähigen Dozenten ersetzt, ist sie sicher hilfreich. Das sollte jedoch die absolute Ausnahme sein. Eine Hochschule, die sich auf BWL-Konservenproduktion spezialisiert, hat keine Zukunft. Universitäten haben neben der Wissensvermittlung die mindestens ebenso wichtige Aufgabe der Persönlichkeitsbildung. Und dazu braucht man den lebendigen Gedankenaustausch zwischen Lehrenden und Lernenden im Hörsaal. Ich bin als Student drei oder vier Hochschullehrern begegnet, die mich persönlich stark geprägt haben. Sie waren die Stars des damaligen Lehrkörpers. Inzwischen leuchten sie als Sterne am Nachthimmel und erinnern mich daran, was ich ihnen verdanke.

© wisu1113/1369

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